Notstand in der Kinderintensivpflege
Die Station 67 der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) zählt zu den mondernsten Intensivstationen für Kinder und Jugendlichen in Deutschland. Versorgt werden hier Kinder mit angeborenen Herzfehlern, schweren Infektionen, Organversagen sowie vor und nach Organtransplantationen. Pro Jahr werden hier durchschnittlich etwa 1.100 Kinder von Geburt an bis zum 18. Lebensjahr aus dem gesamten Bundesgebiet versorgt. Doch es könnten noch deutlich mehr sein, wenn nicht der Pflegenotstand längst auch in der Kinderintensivpflege angekommen wäre.(1)
„Jeden Tag sterben Kinder, weil es zu wenige Pflegekräfte gibt“
Dr. med. Michael Sasse, leitender Oberarzt der Pädiatrischen Intensivmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover, schlug bereits 2018 Alarm. „Jeden Tag sterben Kinder, weil es zu wenige Pflegekräfte gibt.“ – eine harte Aussage, die jedoch nicht aus der Luft gegriffen ist. Teilweise könnten nur 12 bis 15 der Intensivbetten belegt werden, da Pflegekräfte fehlten und nur so eine optimale Versorgung der kleinen Patienten gesichert werden kann. 300 schwerkranke Kinder mussten 2018 abgelehnt werden. Für lebensbedrohte Notfallpatienten werde aber immer nach einer geeigneten alternativen Klinik gesucht, egal wie viel zeitliche und personelle Ressourcen dafür benötigt werden. Für das Personal sei dies eine zermürbende Situation. Und auch für die Eltern sei es unerträglich, so lange auf einen Intensivpflegeplatz warten zu müssen. (2)
Todesfall nach Ablehnung von Berliner Charité
Am vergangenen Donnerstag (6. Februar 2020) berichtet n-tv unter Berufung auf das ARD-Magazin Kontraste über einen tragischen Fall. Hier starb ein Kind, nachdem es von der Berliner Charité abgelehnt werden musste.
Bei dem Kleinkind wurde in einem Krankenhaus in Berlin die Diagnose Leukämie gestellt. Da es hier keine Kinderkrebsstation gab, sollte das Kind in der Berliner Charité vorstellig werden. Doch hier konnte es – trotz kritischem Zustand - offenbar nicht aufgenommen werden, da es in Folge des Personalmangels an freien Betten fehlte. Der Gesundheitszustand des Kindes verschlechterte sich über Nacht. Am nächsten Morgen wurde es zwar in die Charité verlegt, jedoch verstarb es dort kurz nach seiner Verlegung. Dieser tragische Fall war nicht die einzige Ablehnung – 880 Kinder konnten im vergangenen Jahr nicht stationär aufgenommen werden und mussten in andere Krankenhäuser geschickt werden. Eine Erstversorgung fand jedoch statt, wie die Berliner Charité mitteilte. (3)
Personalnot in deutschen Kliniken verschärft sich immer weiter
Einer aktuellen Befragung des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) nach gibt es mittlerweile bei vier von fünf Krankenhäusern Probleme, die offenen Pflegestellen zu besetzen. In ganz Deutschland seien aktuell 17.000 Pflegestellen nicht besetzt. Und auch die Suche nach geeigneten Medizinern gestalte sich schwierig. Die Folgen dieser Situation sind fatal: Jedes dritte Haus musste zeitweise Intensivbetten sperren und Fachbereiche von der Notfallversorgung abmelden. (4)
Diese Zahlen zeigen sehr deutlich, „welch ungeheurer Handlungsdruck besteht, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern“, sagte der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, dem Tagesspielgel (27.12.2019). Die Politik müsse „dringend wirksame Gegenmaßnahmen zur Entlastung des Personals ergreifen, sonst steuern wir auf eine ernste Versorgungskrise hin“.
Helmut-Werner-Preis 2019 für Dr. med. Michael Sasse
Im November 2019 ist der Helmut-Werner-Preis der Kinderhilfe Organtransplantation e.V. (KiO) an Dr. med. Michael Sasse verliehen worden. „Dr. Michael Sasse kümmert sich mit seinem Team von Station 67 nicht nur in vorbildlicher Weise um die kleinen Patienten, auch für seine Mitarbeitenden setzt er sich in besonderer Weise ein und macht speziell auf den Pflegekräftenotstand in der Kinder-Intensivmedizin aufmerksam. Das ist sehr wichtig und mutig.“ so der KiO-Vorsitzende Reinhard Gödel. Sein Engagement, immer wieder auf diesen Notstand hinzuweisen, um sowohl die Arbeitsbedingungen zu verbessern als auch das Leben von noch mehr schwerkranken Kindern zu retten, hat ihn zum Gewinner des Helmut-Werner-Preises gemacht. Im Rahmen des Jahreskongresses der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wurde die Auszeichnen an Dr. med. Michael Sasse vergeben.
Der Helmut-Werner-Preis wird seit 2005 von der Kinderhilfe Organtransplantation (KiO) ausgeschrieben. Benannt ist er nach dem Mercedes-Vorstand Helmut Werner, der 2004 in Folge eines Leberversagend verstarb. So wurde KiO gegründet, das Preisgeld von 5.000 Euro wird jedes Jahr von der Familie des Verstorbenen gestiftet. Ein Kuratorium aus führenden Transplantationsmedizinern aus Deutschland entscheidet über die jährliche Preisvergabe. (5)
(3) https://www.n-tv.de/panorama/Von-Charite-abgelehntes-krankes-Kind-stirbt-article21559168.html
(4) https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/sw/pflegenotstand?nid=108418